Vorhaben der Klassik Stiftung Weimar werden gefördert durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und den Freistaat Thüringen, vertreten durch die Staatskanzlei Thüringen, Abteilung Kultur und Kunst.
Übersicht aller Weimar-Fellows, Nietzsche-Fellows, Bauhaus-Fellows und MWW-Fellows des Jahres 2023 in chronologischer Reihenfolge
Dr. Ralf Lützelschwab (Weimar-Fellow, Januar/Februar 2023): Seit meiner Dissertation über die Oratorik Papst Clemensʼ VI. († 1352) beschäftige ich mich intensiver mit der mittelalterlichen Predigtpraxis. In den Handschriften-beständen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek sind mittelalterliche Predigten (Sermones) vor allem durch Zuflüsse aus Erfurter Klöstern präsent. Dazu gesellt sich Material, das der Predigtvorbereitung diente, darunter Predigtnotizen, Exempel- und Mirakelsammlungen oder Predigtlehren. Die durch Katalogeinträge zwar erschlossenen, aber häufig anonym überlieferten, unbearbeitet und ungedruckt gebliebenen Materialien sollen in ihrer Gesamtheit gesichtet, mithilfe von Datenbanken einem Verfasser zugewiesen und mögliche Editionen identifiziert werden. Wo es keine Editionen und/oder laufenden Arbeiten gibt, sollen sprachlich und inhaltlich herausragende Stücke transkribiert, ediert und übersetzt werden. Die inhaltliche Erschließung soll zeigen, dass Predigten ein wichtiger Beitrag zum Verständnis spätmittelalterlich-frühneuzeitlicher Lebenswirklichkeit sind.
PD Dr. habil. Oleksii Kuraiev (Weimar-Fellow, Januar/Februar 2023): Nach der Promotion am Institut für Geschichte der Ukraine über ukrainische-französische Kulturkontakte im späten 19. bis frühen 20. Jahrhundert forschte ich über die Ukraine-Politik Wiens und Berlins im Ersten Weltkrieg (Habilitation 2007). Danach widmete ich mich der wissenschaftlichen Forschung über die deutsche Wahrnehmung der Ukraine und der ukrainischen Nationalbewegung im 19. Jahrhundert unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten Sachsens, Preußens, Thüringens im Zeitalter der Romantik und ferner im frühwilhelminischen Deutschland.
Aurora A. Sauter (Nietzsche-Fellow, Januar/Februar 2023) studierte Soziologie, Philosophie und Ökonomik in Witten, New York und Frankfurt am Main. Als Doktorandin der Soziologie richtet sich ihr Forschungsinteresse auf Körper und ihre Bedeutung für Praxiszusammenhänge und Subjektivierungsprozesse. Im Rahmen des Nietzsche-Fellowships widmet sie sich dem Topos der Reinheit als sozialem Sortierungs- und Exklusionsmechanismus, um den Begriff der Reinheit im Sinne der genealogischen Methode zu analysieren und aufzufächern. Dafür werden Bedeutungsdimensionen des Reinheitsbegriffs von Friedrich Nietzsche ausgearbeitet und vor dem Hintergrund weiterer Studien zu Reinheitsnormen und sozialen Distinktionsprozessen besprochen. Bereits in Nietzsches Verwendungsweisen des dichotomen Begriffspaars rein und unrein lässt sich aufzeigen, wie die vermeintliche physisch-hygienische Reinheit mit sozialen Distinktionsmechanismen verknüpft ist und somit auf eine meta-physische Dimension von Reinheit verweist.
Dr. Vitalii Mudrakov (Nietzsche-Fellow Mai-September 2022 und Februar/März 2023) ist Autor und Philosoph aus der Ukraine. Er hat Musik, Philosophie und Religionswissenschaft in Chmelnyzkyj und Czernowitz (Ukraine) studiert und erforscht die Probleme, die mit der Identitätsbewahrung verbunden sind. 2022/23 war er Stipendiat am Kolleg Friedrich Nietzsche der Klassik Stiftung Weimar und wurde von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien gefördert. Derzeit erhält er ein Stipendium des Exzellenzclusters "Religion und Politik" der Universität Münster.

Anny und Sibel Öztürk (Bauhaus-Fellows, März 2023): Anny Öztürk, geboren 1970 in Istanbul, und Sibel Öztürk, geboren 1975 in Eberbach, studierten beide an der Städelschule in Frankfurt am Main, sind Meisterschülerinnen und arbeiten seit dem Jahr 2000 zusammen. Sie entwickeln Multimedia-Projekte, Licht- und Rauminstallationen. In ihren Werken reagieren sie sehr stark auf jeweilige Raumsituationen. Eine Vielzahl ihrer Projekte lädt die Betrachtenden zur Beteiligung an der künstlerischen Arbeit ein. Die beiden Künstlerinnen nahmen bereits an zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland teil. 2007 repräsentierten sie die Bundesrepublik Deutschland anlässlich deren EU-Ratspräsidentschaft mit ihrer interaktiven Installation „Mehr Licht“ auf dem Rond-Point Schuman in Brüssel.
Berit Tottmann (Nietzsche-Fellow, März/April 2023): Das Ziel meines Promotionsprojekts besteht darin, rechtsextreme Mythologien von der Mitte des 20. Jahrhunderts bis circa 1800 zurückzuverfolgen und epistemisch sichtbar zu machen. Meiner zentralen Hypothese zufolge kann im Rekurs auf die Romantik als Trägerin des so sichtbar gemachten Diskurses eine Herkunftsgeschichte jener politisch wirksamen Mythen für die europäische Moderne formuliert werden. Die Romantik interpretiere ich dabei als ein Deutungs-, Wahrnehmungs- und Handlungsmodell, das in seinen vielschichtigen und vielgestaltigen Strömungen aus der Perspektive der Zeitgenoss*innen und ihrer jeweiligen Wirklichkeiten analysiert wird. In einer methodologischen Symbiose werden Roland Barthes’ Mythentheorie und Michel Foucaults Diskursanalyse miteinander verbunden, um die Mytheme der Romantik erfolgreich rekursiv auf der Diskursoberfläche des 20. Jahrhunderts kartographieren zu können. So wird es möglich, menschenverachtende Figuren des modernen Denkens in der deutschen Romantik zu identifizieren und zu historisieren.
Paulus Tiozzo (Weimar-Fellow, März/April 2023) studierte Germanistik, Geschichte und Anglistik an der Universität Göteborg. Er promoviert dort mit einer Dissertation über die Geschichte des Literaturnobelpreises. Ausgehend von Dokumenten aus dem Archiv der Schwedischen Akademie analysiert die Studie sämtliche Kandidaturen deutsch-sprachiger Schriftstellerinnen und Schriftsteller zwischen 1901 und 1971. Im Rahmen des Projekts Die Königsmacherin und ihr Autor werden die Kontakte zwischen Marie Franzos (1870–1941), der renommierten österreichisch-jüdischen Übersetzerin schwedischer Literatur, und dem Insel-Verlag untersucht. Dabei steht Franzos’ Vermittlung durch den schwedischen Schriftsteller Per Hallström (1866–1960) im Vordergrund der Untersuchung, einem der bekanntesten Belletristen und mächtigsten Literaturkritiker seiner Generation. Seit mehreren Jahren widmet Tiozzo sich der kritischen Analyse von Hallströms Werk und dessen historischer Wirkung mit besonderer Berücksichtigung seiner Verbindungen nach Deutschland.
Dr. Jana-Katharina Mende (Weimar-Fellow, April/Mai 2023) forscht zu Spuren mehrsprachiger Literatur-geschichte im Archiv- und Metadatenmaterial der Klassik Stiftung Weimar. Unter dem Arbeitstitel Modelling Hidden and Invisible Multilingualism in German Literature (1790–1920). A Quantitative and Qualitative Study werden auf quantitativer und qualitativer Ebene Zugänge zur systematischen Erforschung mehrsprachiger Literatur in der Zeit nationaler und einsprachiger Literaturgeschichts-schreibung entwickelt. In Weimar interessieren sie besonders die Bestände des Wissenschaftlers, Autors und Herausgebers Joseph Kürschner, dessen biobibliograph-ische Sammlung zahlreiche relevante Informationen zu bisher noch nicht untersuchten mehrsprachigen Autor*innen enthält. Aus der Perspektive einer mit Ansätzen aus den Digital Humanities arbeitenden Komparatistin befasst sie sich zudem mit den vorhandenen Metadaten, der Annotation und Markierung von Mehrsprachigkeit im Archiv.
Simona Apollonio (Nietzsche-Fellow, Mai/Juni 2023): Im Rahmen einer Doppelpromotion zwischen der Università del Salento (Lecce, Italien) und der Johannes Gutenberg-Universität (Mainz, Deutschland) promovierte ich in „Philologie und Hermeneutik des Textes“ und Philosophie mit einer Dissertation zum Thema Die Rezeption der Philosophie Schopenhauers beim jungen Nietzsche: 1865-1869. Die Überarbeitung meiner Dissertation hat im Laufe der Zeit die Form eines größeren Forschungsprojekts angenommen, das sich nicht mehr auf die Lösung eines rein historiographischen Problems beschränkt. Insofern das Problem der Grundlage der Moral den versteckten roten Faden des gesamten Denkweges Nietzsches darstellt, kann seine aporetische Einstellung zu Schopenhauer als Ergebnis der wiederholten Versuche erklärt werden, dieses (mit der Grundfrage des Nihilismus eng verbundenene) Problem zu lösen. Während des Aufenthalts im Kolleg Friedrich Nietzsche werde ich das Herzstück meines Forschungs-projekts verwirklichen. Fellowship-Thema: Die Frage des Nihilismus im Hintergrund der Rezeption der Philosophie Schopenhauers bei Nietzsche: ein Blick auf die Jahre 1869-1878.
Melchior Walther (Bauhaus-Fellow, Juni–August 2023), Pianist und Komponist aus Leipzig. Projekt: sonic_narthex # I - Nietzsches Music >>> revisited / Nietzsche – Jazz and Beyond. Ich bearbeite ausgewählte Kompositionen Friedrich Nietzsches für Jazz-Trio (Keys, Bass, Drums). Diese stelle ich Bearbeitungen zweier Werkgruppen gegenüber. Zum einen „Umkreis bzw. Quellmusiken“, die Nietzsche zu lyrischen und philosophischen Werken anregten, zum anderen einzelnen Popsongs (speziell von David Bowie), die von Nietzsche inspiriert sind. Optional entstehen Kompositionen zu bestimmten ästhetischen bzw. philosophischen Denkfiguren Nietzsches unter Verwendung von Fragmenten aus seinem Musikalischen Nachlass. Durch diese Kontextualisierung spannt sich ein weiter Resonanzraum auf, der die sonoren Spiegelungen seiner ästhetischen Implikationen vernetzt und erschließt. Dabei bilden die Wege zur Strukturgenese von der Analyse über die Dekonstruktion zur Rekomposition, mit der klangpoetische Überformung durch Improvisation zwei Seiten einer Medaille. Diese können als Reflexionen des „Apollinischen“ und des „Dionysischen Prinzips“ gelesen werden, deren Dialektik im performativen Moment aufgehoben wird. Ziel ist die Produktion eines Albums (Audio-CD, Vinyl), das zu Nietzsches 180. Geburtstag am 15.10.2024 erscheinen soll.
Carlos Javier Santos Gaona (Bauhaus-Fellow, Juni/Juli): Student des MFA-Studiengangs „Kunst im öffentlichen Raum und neue künstlerische Strategien“ an der Bauhaus-Universität. Fotograf und Mitbegründer von 11m3 Projektraum, einer Galerie für zeitgenössische Kunst in Weimar.
Das Projekt, das ich während des Fellowships entwickeln werde, heißt Hessel v. Spencer, nach dem offiziellen Namen des Platzes vor dem Bauhaus-Museum: Stéphane-Hessel-Platz, der jedoch auf Google Maps als William Spencer Skatepark verzeichnet ist. Das wirft die Frage auf, wer im Recht ist. Gehört der Platz den Skateboardern oder den „normalen“ Menschen? Durch Aktionen, Workshops und andere Strategien möchte ich die beiden Parteien, die diesen Platz besetzen, miteinander versöhnen, indem ich die Skateboarder ins Museum einlade und das Museum nach draußen auf den Platz bringe.
Dr. habil. Anne D. Peiter (Nietzsche-Fellow, Juli 2023): Projekt zum Thema „Die Fliege. Literatur-, kultur- und wissenschaftsgeschichtliche Perspektiven“. Ich arbeite als Germanistikdozentin an der Universität von La Réunion. In Weimar möchte ich anhand eines großen Korpus von Texten, Filmen, Fotos, Gemälden, Lithographien, Comics und musealen Beständen einem ebenso alltäglichen wie wichtigen Insekt – der Fliege – nachgehen, mit dem Ziel, literatur-, kultur- und wissenschaftsgeschichtliche Perspektiven auf Formen von Gewalt und Herrschaft, Gefangenschaft und Unterdrückung, Krankheit und Gesundheit, Sadismus und Zärtlichkeit zu eröffnen. Der Gang durch mehrere Jahrhunderte und kulturelle Ausdrucksformen soll in einem Kapitel über Fliegen und Larven im Kontext von Völkermorden (Shoah und Tutsizid) gipfeln und so in methodischer Hinsicht die „Unverhältnis-mäßigkeit“ eines Blicks einüben, der ich mich bereits in meiner Habilitation zur Gewalt im kolonialen Zeitalter, in den Weltkriegen und im Kalten Krieg anzunähern versuchte. Der Fortsetzungsband bemüht sich der „Radikalität der Genauigkeit“ eines Friedrich Nietzsche nachzueifern.
Letzte Buchveröffentlichungen: Mit Sonja Malzner (Hg.): Der Träger. Zu einer tragenden Figur der Kolonial-geschichte, Bielefeld 2018. Träume der Gewalt. Studien der Unverhältnismäßigkeit zu Texten, Filmen und Fotografien. Nationalsozialismus – Kolonialismus – Kalter Krieg, Bielefeld 2019. Brume et grilles. Notes sur Pékin, Saint Denis 2020. Mit Wolfram Ette: Der Ausnahmezustand ist der Normalzustand, nur wahrer. Texte zu Corona, Marburg 2021.
Beatriz Véliz Argueta (Weimar-Fellow Juli/August 2023) is an interdisciplinary scholar and photographer interested in urban and spatial history. She graduated from Humboldt Universität zu Berlin, was Postdoctoral Researcher at Erfurt University, Andrew W. Mellon Postdoctoral Fellow at Penn State University and Visiting Fellow at Goldsmiths, University of London. Her work explores mapping and the construction of place in cross-cultural encounters, and she is particularly interested in the role of the cartographer as a spatio/temporal translator. Her work combines geography, history of science and art history in making visible the importance of mapping and organizing the world and the Other in it. She is passionate about multi-archival research and multi-linguistic projects and at Weimar she will explore late XVIII century and early XIX century cartographic communities of practice and their structuring of the world in the Atlas form.
David Simonin (Nietzsche-Fellow, Juli/August 2023): Nach meiner Doktorarbeit über das Machtgefühl in der Philosophie Nietzsches (Sorbonne-Université/ Università del Salento), beschäftige ich mich mit dem Thema „Illusorische Vorstellungen und Vorurteile“. Ich interessiere mich insbesondere für die Performativität von Illusionen und ich konzentriere mich auf Morgenröthe. Gedanken über die moralischen Vorurtheile. Das Ziel besteht darin, jene Mechanismen aufzuzeigen, welche die Entstehung, die Struktur und die Verbreitung bestimmter Ideen und Vorstellungen auf der Ebene des Individuums und der Menschengruppen erklären. Mithilfe von Nietzsches Philosophie sollen die psychophysiologischen und soziologischen Vorgänge aufgezeigt werden, die diesen Phänomenen zugrunde liegen. Schließlich wird der Wirksamkeit von Ideen besondere Aufmerksamkeit geschenkt, d. h. der Frage nach imaginären bzw. illusionären Vorstellungen und den Effekten, die sie allein dadurch ausüben können, dass sie geglaubt und geteilt werden.
Marika Keblusek (Weimar-Fellow Juli/August 2023) is a book and art historian, and a university lecturer at the Leiden University Centre for the Arts in Society, Department of Art History. Her research interests include early modern alba amicorum 1500-1800 and visual imagery; the heraldic imagination, 1500-1800, and the history of collections. She has held several fellowships at the Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel; the Folger Library, Washington, D.C., and recently at the Netherlands Institute for Advanced Study. Her current book project is Paper Worlds, a study of the friendship album of Dutch physician Bernardus Paludanus (1550-1633) in the context of his ethnographic and natural history collections. As a Weimar Fellow, her project Images on the Move will focus on the inclusion, adaptation, and transfer of early modern images through a representative case study of alba amicorum.
Leila Haghighat (Nietzsche-Fellow, Juli/August 2023) promoviert zu unauflösbaren Dilemmata in sozial engagierter Kunst an der Akademie der Künste in Wien. Zuvor war sie Projektkoordinatorin u. a. für kulturelle Bildung am Haus der Kulturen der Welt in Berlin und hat Kultur- und Politikwissenschaften an der Université Paris VIII studiert. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind sozial engagierte Kunst, (Stadt)Räume, Institutionen und Repräsentation aus einer postkolonialen Perspektive. Sie ist Mitglied des bildungslab*, einem Kollektiv von migrantischen Akademiker*innen und Akademiker*innen of Color. Im Rahmen des Fellowships wird sie das in ihrer Dissertation leitende Konzept des double binds nach Gregory Bateson und Gayatri Chakravorty Spivak mit der dreidimensionalen Dialektik Henri Lefèbvres verknüpfen, wozu die Schriften Nietzsches dienen sollen. Dabei soll Kunst im erweiterten Sinn als Instrument betrachtet werden, die Gewohnheiten infrage zu stellen und sich damit mit den Widersprüchen unserer Zeit auseinanderzusetzen. In dieser Verknüpfung soll der Zusammenhang von Gewohnheit, Ethik, Ästhetik und Begehren mit den Kategorien Raum und Alltag weitergedacht werden.
Nicola Zambon (Nietzsche-Fellow, August/September 2023) wurde mit einer Dissertation über Hans Blumenberg promoviert. Mittlerweile ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin, wo er an seiner Habilitation über Kants Moralanthropologie arbeitet. Sein Forschungsprojekt ist dem Begriff der „Diätetik“ bei Kant und Nietzsche gewidmet und fragt hiermit nach Rolle und Stellenwert der Gesundheitslehre in der Philosophie beider Autoren. Vertreten wird die These, dass Diätetik eine Erziehung des Selbst zur angemessenen Lebensführung meint, die durch die Sorge um sich auf Bildung, Pflege und Erhaltung leiblicher und geistiger Gesundheit vorbereitet. Durch ein close reading wird auf ausgewählte Passagen beider Autoren aufmerksam gemacht, wobei markante Metaphoriken medizinischer Provenienz untersucht werden sollen, die das Verhältnis zwischen Leben und Geist veranschaulichen.
Victor del Oral (Bauhaus-Fellow, August 2023): In meiner Arbeit untersuche ich Identität als ständige Verhandlung zwischen Sprache und Landschaft. Ich interessiere mich dafür, Texte in Kontexte und Vortexte zu verwandeln, und verwende Widersprüche als Mittel, um Fragen darüber zu stellen, wie wir kommunizieren. In den letzten Jahren habe ich an der Entwicklung von Lecto_esculturas (Lecto-Skulpturen oder Leseskulpturen) gearbeitet, lebenden Installationen, die den Körper und den Akt des Schreibens oder Lesens als grundlegenden Teil ihrer Struktur integrieren. Das durchdringbare Objekt (aus Metall) ist eine “Leseskulptur” mit einem Text, der weder Anfang noch Ende hat. Er ist so auf die Seite eines beweglichen Zylinders geschrieben (eingeschnitten), dass der Benutzer in ihm gehen und sich mit ihm bewegen kann - was gelesen wird, ist dasselbe wie das, was getan wird. Der Text wird durch das Gehen aktiviert. Ein lebendiger Text zum Bewohnen. Poesie zum Gehen. Architektur wird zu Literatur, Gedichte werden zu Objekten, Buchstaben zu Körpern.

Konstantin Schönfelder (Nietzsche-Fellow, September/Oktober 2023) lebt als freier Autor in Frankfurt am Main. Nach seinem Studium der Politikwissenschaft in Leipzig und Washington, D.C., folgte ein Master in Politischer Theorie an der Frankfurter Goethe-Universität. Parallel dazu durchlief er im Rahmen eines Stipendiums eine journalistische Ausbildung. Er ist künstlerischer Leiter des Kulturprojekts PRÄPOSITION, das an Wegen einer neuen, multimedialen Inszenierung von Text und Sprache arbeitet. Seine weiteren Arbeiten umfassen literarische Radio-features (Deutschlandradio Kultur, Hessischer Rundfunk etc.) sowie textliche Veröffentlichungen (Neue Rundschau, FAZ, Reportagen Magazin etc.). Dabei hat er sich mit verschiedenen ästhetischen und gesellschaftlichen Themen beschäftigt, darunter mit den Enden der Literatur, der Ästhetik des Feminismus von Marlene Streeruwitz oder dem Rassismus der Gegenwart am Beispiel der Gemeinde Africatown, Alabama. Akademisch legte er eine Abschluss-arbeit zu Hans Blumenbergs Theorie der Metapher vor. Das Fellowship wird es ihm ermöglichen, sich der Metaphorik von Nietzsches Prosa in multimedialer Form zu widmen.

Christoph Klose (Weimar-Fellow Oktober/November 2023), studierte Archäologie und Geschichtswissenschaften an der LMU München und HU Berlin mit Studienaufenthalt in Cambridge. 2015 Promotion an der HU Berlin in Klassischer Archäologie mit einer Untersuchung zur Präsentation und Konstruktion von urbaner Vergangenheit in Städten der römischen Kaiserzeit. Anschließend wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FSU Jena. Ausgehend von dem dort angesiedelten Projekt zur Provenienz und Sammlungsgeschichte des Akademischen Münzkabinetts der Universität Jena, dessen disziplin- und wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung komplett der Vergessenheit anheimgefallen war, soll während des Fellowships Weimars Rolle als ‚Hub‘ der Numismatik in der Zeit um 1900 erforscht werden. Anhand bislang nicht zusammengetragener Spuren noch vorhandener Bestände und Archivalien werden dabei v.a. die sich kreuzenden Lebenslinien dreier Wissenschaftler und ihre jeweiligen Verbindungen mit Weimarer Münzsammlungen genauer erforscht: Rudolph Gaedechens (1834-1904), Heinrich Buchenau (1862-1931) und Behrendt Pick (1861-1940).
Tim-Florian Steinbach (Nietzsche-Fellow, November/Dezember 2023): In meiner Dissertation mit dem Titel „Gelebte Geschichte, narrative Identität“ (Alber 2020) untersuche ich das hermeneutische Geschichts-denken bei Hans Blumenberg und Paul Ricœur. Während Ricœur die Quellen seines hermeneutischen Geschichts-verständnisses weitestgehend offenlegt, sind diese mit Blick auf Blumenbergs Geschichtsverständnis nicht immer deutlich zu erkennen. Phänomenologie, Hermeneutik und Genealogie werden von ihm auf kreative Weise miteinander verschränkt und in ein produktives Verhältnis gesetzt. Den genealogischen Zügen seines Geschichtsverständnisses sowie seiner Auseinandersetzung mit dem Werk Nietzsches wurde bisher nur wenig Beachtung geschenkt. Es lässt sich jedoch zeigen, dass Nietzsche mitunter Blumenbergs Geschichtsdenken, insbesondere aber sein Verständnis der Moderne deutlich geprägt hat. Blumenberg, wie anderen Denkern der bundesdeutschen Nachkriegsphilosophie auch, gilt Nietzsches Nihilismus-Diagnose in diesen frühen Jahren der Bundesrepublik als treffende Zeitdiagnose. In diesem Kontext wird Nietzsches Diagnose von Blumenberg geistes- und ideengeschichtlich gewendet und so zur Signatur der modernen Wirklichkeit insgesamt.