Vorhaben der Klassik Stiftung Weimar werden gefördert durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und den Freistaat Thüringen, vertreten durch die Staatskanzlei Thüringen, Abteilung Kultur und Kunst.
Was heute als „Weimarer Klassik“ bezeichnet wird, war ein großer Aufbruch ins Unbekannte.
Im Streit um Sprache, Literatur, Wissenschaft und Politik formte sich eine neue Öffentlichkeit – in Weimar wie in vielen anderen deutschen und europäischen Städten. Die Weimarer Schriftsteller Christoph Martin Wieland, Johann Wolfgang von Goethe, Johann Gottfried von Herder und Friedrich von Schiller waren Hauptakteure dieser Entwicklung.
Der Parcours „Sprachexplosionen“ gibt in den Wohnhäusern Schillers und Goethes sowie im Stadtraum Einblicke in die kreative Sprengkraft der Literatur – und zeigt zugleich das Konflikt- und Eruptionspotential öffentlichen Sprechens, das auch heute manche Debatten prägt.
In den ehemaligen Wirtschaftsräumen von Goethes Wohnhaus geht es um reisende Wörter, um Sprachstreit und Zensiertes, um Goethes Dichtung und um eine vor 200 Jahren gestellte literarische „Gender-Frage“.
Der Standort war Weimar, der Austausch europäisch. Wörter und Texte überwanden Grenzen leichter als Personen. Englisch, Französisch, Griechisch, Latein: Die Stadtgesellschaft, die am Hof, im Theater, in den Salons verkehrte, las Europäisch, und Weimarer Literatur wurde überall in Europa gelesen – während wohl die meisten Menschen, die im Erdgeschoss des Wohnhauses arbeiteten, nicht lesen konnten und auch keine Fremdsprachen gelernt hatten.
Angesichts einer Welt im Umbruch entstanden neue Wörter – als kleinste gedankliche, poetische und manchmal auch politische Bedeutungseinheiten. Sie wanderten zwischen Sprachen, wurden Gegenstand von Streit, entwickelten sich weiter. All dem geht der Film im Kutschenraum nach.
Nicht nur wer dichtet, erfindet Wörter, sie entstehen überall – auf jedem Schulhof zum Beispiel, aber auch im Privaten. Manche Worterfindungen stehen zuerst an Wänden öffentlicher Toiletten. Ob man dorthin schon in Goethes Zeit persönliche Statements kritzelte, wissen wir nicht, wohl aber, dass Goethe gelegentlich an Wände geschrieben hat, zum Beispiel sein Gedicht „Über allen Gipfeln ist Ruh“.
Vor Ort, in Goethes Wohnhaus haben Sie die Möglichkeit, Ihre eigenen Wörter an die Wände zu schreiben, die in den einzigen im Wohnhus erhaltenen Toilettenraum gebaut wurden, den man damals übrigens als „Abtritt“ oder „Abort“ bezeichnete. In Goethes Werken kommen auch „heimliches Gemach“ und „Scheißhaus“ vor.
Nicht alles veröffentlichte Goethe. Was etwa für die zeitgenössische Sexualmoral zu freizügig war, hielt er zurück – und stellte dieser Moral sein Bild einer freieren Antike gegenüber: „Was den alten Griechen zu sagen erlaubt war, will uns zu sagen nicht mehr anstehen“.
Vermeintlich zu explizite Texte erschienen nach seinem Tod an entlegenen Stellen oder fehlten in den Ausgaben gleich ganz. Manche von Goethes erotischen Wörtern und Sprachbildern sind für immer verloren. Sie wurden aus den Manuskripten herausradiert, -gekratzt und -geschnitten. Das in der Kammer gezeigte Venezianische Epigramm blieb dagegen unversehrt – vielleicht wegen seines vordergründig sprachkritischen Inhalts.
Nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war Goethes Briefwechsel mit Christiane Vulpius, aus dem Sie hier Auszüge mit ganz eigenen Wortschöpfungen lesen können.
„Gieb mir statt Der Schwanz ein ander Wort o Priapus,
Denn ich Deutscher ich bin übel als Dichter geplagt.
Griechisch nennt ich dich φαλλος, das klänge doch prächtig den Ohren,
Und lateinisch ist auch mentula leidlich ein Wort.
Mentula käme von mens, der Schwanz ist etwas von hinten,
Und nach hinten war mir niemals ein froher Genuß.“
Der Briefwechsel zwischen Goethe und seiner Frau Christiane war nie für andere Augen als die ihren bestimmt. Die hier zu hörenden Ausschnitte enthalten die intimen Neologismen des Paares.
Referenten: Rolf Hermann, Ulrike Hübschmann; Sprecher: Daniel Kuhn. © 2022 Linon Medien, Schonungen.
17 Gedichte hat die Grafikdesignerin Ariane Spanier auf Wände, Fenster und Boden des Seminarraums in Goethes Wohnhaus geschrieben – ein sehr ausgewählter Gang durch Johann Wolfgang von Goethes lyrisches Werk, das etwa 3600 Gedichte umfasst.
Charlotte von Stein, eine sehr wichtige Frau in Goethes Leben, schreibt an Charlotte Schiller, die wichtigste Frau in Schillers Leben – und vertritt die Ansicht, unter gleichen Lebensbedingungen könne es vielleicht auch große Dichterinnen geben.
Goethes Schwiegertochter Ottilie von Goethe, die lange in diesem Haus lebte, schrieb Gedichte, übersetzte und gab die Zeitschrift „Chaos“ heraus. Ihr Nachlass ist noch nicht vollständig aufgearbeitet. Vom 26.08.—18.12.2022 wird im Goethe- und Schiller-Archiv erstmals in Weimar eine Ausstellung über die Literatin gezeigt.

Weitere Sprachexplosionen und fesselnde Hörgeschichten in der Weimarer Innenstadt bietet die App Weimar+. Flanieren Sie mit dem multimedialen Guide durch die Kulturstadt und entdecken Sie die Highlights aus unterschiedlichen Perspektiven.