Vorhaben der Klassik Stiftung Weimar werden gefördert durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und den Freistaat Thüringen, vertreten durch die Staatskanzlei Thüringen, Abteilung Kultur und Kunst.

Eine Geschichte über die erste serienmäßig hergestellte Schreibmaschine und wie sie Nietzsche dabei half, weiter lesbar schreiben zu können.
Die Schreibkugel aus dem Besitz Friedrich Nietzsches ist ein technischer Apparat von ganz eigener und fremdartiger Schönheit. Ihren Namen verdankt sie den konzentrisch angeordneten Tasten auf der Oberseite, die das Segment einer Kugel bilden. Um mit diesem Gerät zu schreiben, musste man einen Bogen Papier in den gewölbten Rahmen im unteren Teil des Geräts einspannen. Anders als die Schreibmaschinen des 20. Jahrhunderts hat die Schreibkugel kein Gehäuse, so dass wir die Mechanik aus Messing und Stahl ungehindert betrachten können. 1865 von dem Dänen Rasmus Malling-Hansen entwickelt und 1870 patentiert, handelt es sich um die erste serienmäßig hergestellte Schreibmaschine. Etwa 180 Stück wurden produziert, von denen heute noch knapp 30 existieren. Ihr Erfinder war hauptberuflich Lehrer an einer Taubstummenschule in Kopenhagen. Bei seiner Arbeit fiel ihm auf, dass seine Schüler mit der Fingersprache die Lautzeichen viel schneller wiedergeben konnten als ein gewöhnlicher Schreibender. So kam er auf die Idee der Scrivekugle: Mit seiner Maschine konnte man im Optimalfall die Geschwindigkeit aller zehn Finger nutzen.
Für Nietzsche war die Schreibmaschine aber vor allem interessant, weil seine Augen so schlecht waren, dass er seine eigene Handschrift kaum lesen konnte. Nachdem er die kostspielige Erfindung in Briefen erwähnt hatte, besorgte ihm seine Schwester Elisabeth ein Exemplar. Im Februar 1882 traf die Schreibkugel in Nietzsches Winterquartier in Genua ein. Er nahm sie begeistert in Empfang und begann, sie eifrig zu benutzen. Fasziniert von der neuen Technik widmet er dem komplizierten und sensiblen Apparat sogar ein Gedicht:
„SCHREIBKUGEL IST EIN DING GLEICH MIR : VON EISEN
UND DOCH LEICHT ZU VERDREHN ZUMAL AUF REISEN.
GEDULD UND TAKT MUSS REICHLICH MAN BESITZEN
UND FEINE FINGERCHEN, UNS ZU BENUETZEN.“Friedrich Nietzsche
Die Schreibkugel ohne Kleinbuchstaben: Sie versinnbildlich das ideale Selbstbild der Stärke („Eisen“), ist aufgrund ihrer konstruktiven Mängel aber auch ein Gleichnis für Nietzsches Empfindlichkeit, besonders gegen Ortswechsel. Nietzsches mit diesem Apparat geschriebene Texte sind von einer gewissen Heiterkeit geprägt, und es ist bemerkenswert, wie er sich selbst in eine intime Beziehung zu ihm setzt. Man hat davon gesprochen, Nietzsches Schreibkugel markiere den Übergang von einer ‚Metaphysik der Handschrift’ zum Maschinenzeitalter der Kommunikation. Wie man schreibt, hängt auch mit den dabei benutzten Instrumenten zusammen. In Nietzsches eigenen Worten: „Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken.“
Allerdings endeten zumindest Nietzsches Schreibversuche bald in Ernüchterung. Er hatte Schwierigkeiten, ohne hinzusehen die richtigen Tasten zu finden; immer wieder musste er Fehler mit Bleistift oder Tinte korrigieren. Außerdem war der empfindliche Apparat – auch davon spricht das kurze Gedicht – beim Transport beschädigt worden, und die verschiedenen Reparaturversuche verursachten neue Probleme. Entsprechend schnell gab Nietzsche das Schreibmaschinenexperiment wieder auf: Nach sechs Wochen und knapp sechzig damit beschriebenen Seiten legte er die Skrivekugle beiseite.
Rasmus Malling-Hansen (1835–1890): Skrivekugle (Schreibkugel) aus dem Besitz Friedrich Nietzsches, nach 1878
Maße: 22 x 25,3 x 20,8 cm
Messing, Stahl, Zelluloid
Signatur: NKg/00329
Provenienz: Friedrich Nietzsche (1844–1900)
Sammlungen: Kunstgewerbesammlung der Museen der Klassik Stiftung Weimar (Schreibkugel); Friedrich-Nietzsche-Bestand des Goethe- und Schiller-Archivs Weimar (Typoskript)