Vorhaben der Klassik Stiftung Weimar werden gefördert durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und den Freistaat Thüringen, vertreten durch die Staatskanzlei Thüringen, Abteilung Kultur und Kunst.
Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek bewahrt eine bedeutende Sammlung von Handschriften. Von der Spätantike bis in die Gegenwart reichen die Manuskripte, die auf Papyri und Wachstafeln, Pergament und Papier überliefert sind. Mit griechisch, arabisch, türkisch, persisch, hebräisch, lateinisch, deutsch, französisch und niederländisch bildet der Sprachenmix einen Teil der kulturellen Vielfalt Europas und des Nahen Ostens ab. Mit ihren 2000 mittelalterlichen und neuzeitlichen Handschriften bietet die vielschichtige Sammlung unbekanntes Quellenmaterial, Neuentdeckungen und offene Fragen, die in der Folge von Erschließungs- und Digitalisierungsprojekten der letzten drei Jahrzehnte das Interesse der internationalen Forschung geweckt haben.
Das älteste Dokument der Handschriftensammlung ist das zweiteilige Fragment (Fol 533.1) eines Vertrags in griechischer Schrift über die Verpachtung von Land, das auf das vierte Regierungsjahr des römischen Kaisers Marc Aurel, also das Jahr 164 datiert ist.
Es gehört zur Gruppe von 13 Fragmenten auf Papyrus mit Texten aus römischer (2. Jahrhundert) und byzantinischer Zeit (6. Jahrhundert).
Im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft wurden zwischen 1993 und 2010 in zwei Teilprojekten die lateinischen Handschriften bis zum Jahr 1600 katalogisiert (Band 1 und Band 2 im Katalog). Diese Sammlung umfasst 202 mittelalterliche und neuzeitliche Handschriften, 117 Fragmente, sowie Handschriftenteile in zwei Inkunabeln und eine Urkunde. Der Katalog der lateinischen Handschriften ist in Buchform erschienen und wird sukzessive in den Online-Bibliothekskatalog überführt.
1973 beschrieb Kurt Treu zunächst zehn griechische Handschriften (im Katalog). Im Zuge einer Sichtung von Nachlassbeständen wurden im Jahr 1997 weitere 29 Handschriften und Fragmente in griechischer Sprache wiederentdeckt, darunter auch ein nahezu vollständiges Exemplar eines Alexanderromans aus dem 16. Jahrhundert. Weitere Inhalte sind Evangeliare, Bibelkommentare, Psalter, Texte für den Schul- und Wissenschaftsbetrieb (Homers Ilias und Odyssee).
Insgesamt befinden sich 42 griechische Handschriften und Fragmente im Bestand der Bibliothek. Der Datierungszeitraum reicht vom 10. bis ins 18. Jahrhundert, wobei ein Großteil der Handschriften aus dem 11. und 12. Jahrhundert stammt.
Der Bestand der sogenannten orientalischen Handschriften, mit dem arabische, persische und türkische Manuskripte bezeichnet werden, umfasst 60 Exemplare aus dem 15. bis 19. Jahrhundert. Die meisten Manuskripte stammen aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Die Schriften zeichnen sich überwiegend durch ihre hohe künstlerische Qualität aus. Die Handschriften wurden von Florian Sobieroj im Jahr 2001 erschlossen und katalogisiert (im Katalog).
Die Erschließung der hebräischen Handschriften erfolgte im Jahr 1965 durch Ernst Roth (im Katalog). Insgesamt umfaßt die Sammlung sieben sehr kunstvoll gestaltete hebräische Codices, darunter eine zweibändige Tora aus dem 15. Jahrhundert (Q 651/652) aus dem Nachlass Johann Heinrich Bohn, sowie Schriften aus dem 17. und 18. Jahrhundert, die einzelne Teile aus der Bibel enthalten (Oct 156, Oct 157), zudem ein geographisches und astronomisches Werk, verfasst von Abraham bar Chija, um 1540 (Oct 158).
Auf der Grundlage von 1934 durch Kurt Vogtherr begonnenen und 1988 durch Franzjosef Pensel noch einmal aufgenommenen Vorstudien zur Erschließung der (alt-)deutschen Handschriften konnten 64 mittelalterliche deutsche Handschriften und Fragmente des 14. bis 16. Jh. identifiziert werden.
Durch ausgewählte Publikationen sind einige kulturgeschichtlich herausragende Kodizes bekannt geworden, z.B. das Gebetbuch der Margarethe von Rodemachern, Texte der Meistersänger sowie kriegs- und ingenieurtechnische Werke (Fol 328).
Die Sammlung umfasst rund 1.400 neuzeitliche Manuskripte in verschiedenen Sprachen, die zwischen dem 16. bis 19. Jahrhundert entstanden sind, die meisten von diesen Handschriften sind im 17. und 18. Jahrhundert entstanden.
Inhalte sind religiöse Literatur der Reformation, Waffentechnik mit Ursprüngen im Dreißigjährigen Krieg, Wappenbücher, Chroniken, Reiseberichte, Biographien, Opernlibretti, Theaterstücke und Okkultes.
Die Handschriften der Bibliothek sind in den Signaturgruppen Fol max, Fol, Oct und Q verzeichnet.
Zu Handschriften werden bibliothekswissenschaftlich auch weitere Publikationsformen gerechnet, die allerdings aufgrund ihrer Gattungsspezifika in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek als jeweils eigene Sammlungen geführt werden bzw. anderen Sammlungen zugeordnet sind: Stammbücher (Link zur Sammlungsbeschreibung), Notenhandschriften (Link zur Sammlungsbeschreibung) und Gesellenwanderbücher (Link zur Sammlungsbeschreibung)
Die Erschließung der Handschriftensammlung ist nicht vollständig abgeschlossen, sodass sich über deren Entstehung bis zum jetzigen Zeitpunkt keine abschließenden Aussagen treffen lassen. Dennoch lassen sich wichtige Etappen des Bestandsaufbaus aus anderen Quellen, z.B. auf der Basis von Rechnungsbüchern dokumentieren:
Den frühen Grundstock der Handschriftensammlung bildeten 240 Kodizes aus der Privatbibliothek Konrad Samuel Schurzfleischs (1641-1708, erster Direktor der Weimarer Bibliothek). 1722 gelangte diese Sammlung mit juristischer Raffinesse, Drohungen und schließlich mittels Beschlagnahmung durch die Hofverwaltung in Bibliotheksbesitz. Aus der Sammlung Schurzfleischs stammen auch einige islamische Kodizes, die als „Türkenbeute“ aus den Osmanenkriegen im 16./17. Jh. auf den Handschriftenmarkt gelangt sind.
Im frühen 19. Jahrhundert kamen 24 Kodizes aus der Bibliothek der 1392 gegründeten Erfurter Universität, deren Betrieb 1816 durch die preußische Regierung aufgehoben wurde, in den Weimarer Besitz. Napoléon Bonaparte hatte der Universität 1809 die Reste der Bibliotheken der Kartause Salvatorberg bei Erfurt und des Benediktinerklosters St. Peter und Paul geschenkt. Der Bibliothekar Christian August Vulpius (1762-1827) hatte 1809 eigens für den Handel mit diesen Handschriften und Kunstwerken ein „Literarisch-artistisches Verkaufs-Commissions-Bureau“ eröffnet. Mehrere Handschriften aus Vulpius‘ Privatbesitz sind später von seinen Erben an die Weimarer Bibliothek verkauft worden.
Der Großteil der griechischen und vieler anderer Handschriften stammt aus dem Nachlass Wilhelm Fröhners (1834-1925, ehemaliger Konservator am Pariser Louvre) und ist zusammen mit Büchern, Broschüren und Grafiken 1927 als Vermächtnis an die Thüringische Landesbibliothek gelangt.
Weitere, exemplarspezifische Provenienzen werden sich im Laufe der fortlaufenden Erforscung und Katalogisierung herausstellen.
Handschriften in den Digitalen Sammlungen
Bibliographien und Kataloge der Herzogin Anna Amalia Bibliothek zu Weimar. Die lateinischen Handschriften bis 1600. Hrsg. v. Michael Knoche. Wiesbaden: Harrassowitz
- Band 1: Fol max, Fol und Oct. Beschrieben von Betty C. Bushey. 2004. LXVII, 615 S. (im Katalog)
- Band 2: Quarthandschriften. Beschrieben von Matthias Eifler. 2012. LXXXV, 799 S. (im Katalog)
Florian Sobieroj: Arabische, persische und türkische Handschriften der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar. In: Verzeichnis der orientalischen Handschriften in Deutschland. Band 37, Teil 5. Hrsg. von Hartmut-Ortwin Feistel. Stuttgart: Steiner 2001, S. 95–225. (im Katalog)
[Hebräische Handschriften in Weimar]. In: Verzeichnis der orientalischen Handschriften in Deutschland. Band 6, Teil 2. Hrsg. von Hans Striedl. Wiesbaden 1965, S. 396–398. (im Katalog)
Franzjosef Pensel: Die deutschen Handschriften des Mittelalters und der Neuzeit (in Auswahl). Bd. 1: Die Signaturengruppen Fol max, Fol, Q und Oct (Bibliographien und Kataloge der Herzogin Anna Amalia Bibliothek zu Weimar). (Unveröffentlichtes Typoskript, Auskünfte erteilt die Fachbereichsleitung Sondersammlungen).
Ludwig Preller: Catalog der Handschriften. [Weimar]: [Großherzogliche Bibliothek] 1847–1861. (Digitalisat)
Mittelalterliche lateinische Handschriften der Herzogin Anna Amalia Bibliothek im Kontext der europäischen Geistesgeschichte. In: Europa in Weimar. Visionen eines Kontinents. Göttingen 2008 (=Jahrbuch der Klassik Stiftung Weimar, Jg. 2008), S. 11-47. (Digitalisat)
Matthias Eifler: Mittelalterliche Handschriften im klassischen Weimar. Abschluss eines Erschließungsprojektes am Handschriftenzentrum der Universitätsbibliothek Leipzig. In: BIS - Das Magazin der Bibliotheken in Sachsen Jg. 3 (2010), Heft 4, S. 236–239. (Digitalisat)
Dominic Mertzanis, Claudia Sode: Vom Balkan bis Zypern: Die unbekannten griechischen Handschriften der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar. In: Bibliothek und Wissenschaft. Bd. 47. Wiesbaden: Harrassowitz, 2014, Seite 117-132. (im Katalog)
Kurt Treu: Griechische Handschriften in Weimar. In: Philologus. Bd. 117, H. 1. Berlin: de Gruyter, 1973, S. 113-123. (im Katalog)