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25.06.2024

Aus dem Ahrtal-Hochwasser gerettete Bibel mit Expertise der Herzogin Anna Amalia Bibliothek restauriert

Präsentation und feierliche Übergabe an die Eigentümer*innen

Eine fast 270 Jahre alte, durch das Hochwasser im Ahrtal stark beschädigte Bibel ist mit Hilfe der umfangreichen Expertise der Herzogin Anna Amalia Bibliothek restauriert worden. Die Bibel (Biblia deutsch, nach der Übersetzung von Martin Luther, Nürnberg 1755, ca. 1200 S.) war nach der verheerenden Flutkatastrophe im Ahrtal im Juli 2021 als eine der wenigen Habseligkeiten aus dem zerstörten Haus der Eigentümer*innen gerettet worden. Die Familienbibel hatte im Zuge des Hochwassers lange im Wasser gelegen und war nicht nur stark durch Schlamm verunreinigt, sondern zudem durch Schimmel kontaminiert. Die Eigentümer*innen hatten daher Ende 2021 die Herzogin Anna Amalia Bibliothek kontaktiert und um Unterstützung bei der Schadensaufnahme und Restaurierung gebeten. Nicht zuletzt durch den Brand der Weimarer Bibliothek am 2. September 2004 verfügen die Werkstätten der Herzogin Anna Amalia Bibliothek über eine große Expertise für schwere durch Feuer und Wasser verursachte Schäden an Büchern sowie geeignete Verfahren, die für die Restaurierung der Ahrtal-Bibel genutzt und übertragen werden konnten. „Kulturgut nach Katstrophen gemeinsam retten, ist die Lehre aus dem Brand der Weimarer Bibliothek 2004“, so Dr. Reinhard Laube, Direktor der Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Am 25. Juni 2024 (11 Uhr) wurde die Bibel im Studienzentrum im Rahmen eines Pressetermins an ihre Eigentümer*innen aus dem Ahrtal übergeben. Das musikalische Rahmenprogramm gestaltete die Jazzband „Baben der Erde“, die die Hilfsanfrage an die Bibliothek vermittelt hatte.

Der Restaurierungsvorgang im Detail:
Aufgrund der Kontaminierung der Bibel mit Schimmel und Schlamm waren restaurierungsvorbereitend mikrobiologische Analysen und umfangreiche Reinigungsmaßnahmen notwendig. Nach der Dekontamination wurde der Buchblock aus dem Einband gelöst und Teile unabhängig voneinander in verschiedenen Maßnahmen von den Expert*innen in den Werkstätten der Herzogin Anna Amalia Bibliothek sorgfältig gereinigt und restauriert.
Der Buchblock wurde zur Papierstabilisierung und Rekonstruktion in der Lehrwerkstatt Weimar-Legefeld und der Ledereinband zur Restaurierung von Lederüberzug, Holzdeckel und Metallbeschlägen in der Projektwerkstatt behandelt. Ende März 2024 wurden die umfangreichen und teils herausfordernden Arbeiten abgeschlossen.
Beteiligt an den mikrobiologischen Analysen war – nach Einbeziehung des wissenschaftlichen Fachbeirats Brandfolgenmanagement der Herzogin Anna Amalia Bibliothek – das mikrobiologische Labor der HAWK Hildesheim. Die Dekontamination erfolgte extern durch einen Dienstleister für Gammabestrahlung. Nach der Dekontamination wurden Buchblock und Einband unabhängig voneinander in folgenden Teilmaßnahmen behandelt:
Papierreinigung: Aufgrund der starken Kontamination mit Schlamm und Schimmel wurde eine intensive Oberflächenreinigung der einzelnen Buchseiten durchgeführt. Dadurch konnten die aufliegenden Verunreinigungen bereits trocken deutlich reduziert werden.
Papierrestaurierung: Die Reinigung der Blätter wurde in einer Nassbehandlung fortgesetzt, bei der vor allem der eingetrocknete Schlamm gelöst und minimiert werden konnte. Die abgebaute Papierstruktur wurde durch das Übervliesen mit einem hauchdünnen Japanpapier stabilisiert. Fehlstellen konnten angefasert und ergänzt werden. Der Buchblock wurde nach der Behandlung aller Blätter rekonstruiert und geheftet.
Einbandreinigung: Durch Tests nach dem Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek war bekannt, dass feste Anhaftungen durch das Weichstrahlverfahren, bei dem Cellulosepulver mit einer Druckluftpistole auf die Oberfläche aufgesprüht wird, schonend reduziert werden können. Die Methode wurde an der der TH Köln am Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaften etabliert. Ein Mitarbeiter der HAAB behandelte den Einband mit dem Verfahren und konnte so das Einbandmaterial (Schweinsleder) und die Messingschließen bzw. -beschläge vollständig reinigen.
Einbandrestaurierung: Deckel und Lederbezug waren stark deformiert und wurden durch kontrollierten Feuchtigkeitseintrag schonend in eine wiederverwendbare Form gebracht. Am Rücken wurde eine Ergänzung unterlegt und der stabilisierte Einband, mit dem neu gehefteten Buchblock verbunden.

Dass eine derartige Unterstützung auch für das Expertenwissen der Weimarer Bibliothek ein Zugewinn sein kann, erklärt die Fachverantwortliche der Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Dr. Laura Völkel: „Durch unsere Expertise aus dem Brandfolgenmanagement standen uns Verfahren und Methoden zur Verfügung, die wir bei der Restaurierung der Bibel erfolgreich übertragen konnten. Gleichzeitig hat uns der stark auftretende Schimmel vor neue Herausforderungen gestellt, die zu einer Anpassung und Erweiterung unserer Verfahren geführt haben.“

Verwendbares Bildmaterial können Sie hier herunterladen (Passwort: Ahrtal2024).

 

Bildnachweise:

1_Vorzustand der durch Hochwasser geschädigten Bibel, Foto: © Klassik Stiftung Weimar

2_Blick in den Buchblock vor der Restaurierung, Foto: © Klassik Stiftung Weimar

3_Blick in den Buchblock nach der Restaurierung, Foto: © Klassik Stiftung Weimar

Vorhaben der Klassik Stiftung Weimar werden gefördert durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und den Freistaat Thüringen, vertreten durch die Staatskanzlei Thüringen, Abteilung Kultur und Kunst.