Vorhaben der Klassik Stiftung Weimar werden gefördert durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und den Freistaat Thüringen, vertreten durch die Staatskanzlei Thüringen, Abteilung Kultur und Kunst.

In dieser Serie von Beiträgen sollen eine Reihe von historischen literarischen Texten auf nicht heterosexuelle und/ oder trans* (d. h. Personen, die sich nicht mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren) Figuren untersucht werden. Im Rahmen meines FSJs in der Klassik Stiftung Weimar habe ich mir als eigenverantwortliches Projekt ausgesucht, bestimmte Texte zu analysieren und einen neuen Blick darauf zu werfen. Meine Arbeit wird auf dieser Website veröffentlicht. Doch zuvor ein paar Anmerkungen:
Natürlich ist zu beachten, dass queere Figuren meist nicht eindeutig dargestellt wurden, da homosexuelle Handlungen gesellschaftlich nicht angesehen waren und in manchen Zeiträumen sogar unter Strafe standen. Dennoch gibt es oftmals Aufhänger, die den Rezipienten zum Schluss führen können, dass bestimmte Figuren nicht dem heteronormativen Hintergrund eines Werkes entsprechen.
Außerdem ist die Identifikation mit einer bestimmten Sexualität eine sehr persönliche Sache, die nicht von einer äußerlichen Perspektive geschehen kann. Diese Beiträge sollen Figuren aufzeigen, die möglicherweise nicht heterosexuell und/oder cisgender (= sich mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizierend) sind und versuchen, sie einzuordnen, um darzustellen, dass solche Personen immer existiert haben. Gerade Literatur ist oftmals ein Mittel, um in einer fiktiven Welt Themen, die auch in der Realität wichtig sind, zu kommunizieren und verständlicher zu machen. Deshalb sind auch fiktive Figuren und deren Identität interessant und können Hinweise auf ihren Entstehungshintergrund bieten.
Zusätzlich soll untersucht werden, ob deren Auftreten und Einstellung vielleicht nur mit gesellschaftlichen Normen und Geschlechterrollen zusammenhängt oder ob die Figuren tatsächlich aller Wahrscheinlichkeit nach queer sind. Dazu benutze ich Begriffe aus der heutigen Zeit, die zur Entstehung der Werke oftmals noch nicht in der heutigen Form existiert haben, es ist also eine relativ moderne Betrachtungsweise von Texten aus der Vergangenheit.
Weshalb habe ich dieses Projekt für mich gewählt? Mir ist es wichtig, zu zeigen, dass es nicht nur ein Trend ist, dass sich immer mehr Menschen - vor allem junge Leute - trauen, aus der heteronormativen Rolle auszubrechen. Heute ist es aber für viele queere Menschen leichter, ihre Identität auszuleben. Dass ich mich im Rahmen meines FSJs damit befassen kann und meine Gedanken dazu veröffentlichen darf, ist ein Privileg, das ich dazu nutzen möchte, Aufmerksamkeit darauf zu lenken, wie bunt unsere Welt und die Kultur, mit der wir leben, ist.
Ich als Autor habe mich bemüht, möglichst verschiedene Entstehungszeiten und Identitäten abzudecken. Mir ist allerdings bewusst, dass sich meine Literaturauswahl, besonders aufgrund meiner Vorbildung, auf westliche Literatur konzentriert.
Weshalb habe ich dieses Projekt für mich gewählt? Mir ist es wichtig, zu zeigen, dass es nicht nur ein Trend ist, dass sich immer mehr Menschen - vor allem junge Leute - trauen, aus der heteronormativen Rolle auszubrechen. Heute ist es aber für viele queere Menschen leichter, ihre Identität auszuleben. Dass ich mich im Rahmen meines FSJs damit befassen kann und meine Gedanken dazu veröffentlichen darf, ist ein Privileg, das ich dazu nutzen möchte, Aufmerksamkeit darauf zu lenken, wie bunt unsere Welt und die Kultur, mit der wir leben, ist.
Ich als Autor habe mich bemüht, möglichst verschiedene Entstehungszeiten und Identitäten abzudecken. Mir ist allerdings bewusst, dass sich meine Literaturauswahl, besonders aufgrund meiner Vorbildung, auf westliche Literatur konzentriert.
Der Begriff "polyamourös" bedeutet, dass sich ein Mensch gleichzeitig in mehrere Menschen verlieben kann und/oder – mit dem Wissen und Einverständnis von allen Beteiligten – mehrere romantische und/oder sexuelle Beziehungen gleichzeitig haben kann. Einige sehen Polyamorie als Identität, andere als Lebensweise.1
Johann Wolfgang Goethe wurde am 28.08.1749 in Frankfurt am Main geboren.4 In Leipzig und Straßburg studierte er Jura. 1773 veröffentlicht er das Drama „Götz von Berlichingen“, das ihn deutschlandweit bekannt machte, ein Jahr später den Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“.
1775 folgt er einer Einladung des Herzogs Carl August nach Weimar, 1776 wird er von diesem zum Geheimrat ernannt. In diesem Jahr veröffentlichte er auch die erste Version von „Stella“5. 1786 reiste er, frustriert von seiner politischen Aufgabe, nach Italien. Erst 1788 beendete er seine Reise und kehrte nach Weimar zurück. Dort lernte er seine Lebensgefährtin und spätere Ehefrau Christiane Vulpius kennen, deren gemeinsamer Sohn August kam 1789 auf die Welt6. Ihre uneheliche Beziehung wurde in Weimar schlecht aufgenommen, da sie gegen alle Konventionen verstieß und Goethe lange mit der Hochzeit wartete. 1794 freundete er sich mit Friedrich Schiller an, im Zuge dieser Freundschaft unterstützten sich beide Schriftsteller gegenseitig. Die Beziehung fand 1805 mit Schillers Tod ihr Ende. 1806 wurde „Stella“ mit einem neuen Schluss in Weimar aufgeführt 7. Während Weimar im Oktober 1806 von Franzosen besetzt wurde, heiratete Goethe Christiane schließlich8. 1808 veröffentlichte er „Faust I“9. Goethe begann autobiografische Arbeiten10. Im Juni 1816 starb seine Ehefrau11. In seinen letzten Jahren beschäftigte er sich viel mit seinem literarischen Nachlass, schreibt aber auch weiterhin neue Werke12. Am 22.03.1832 starb er in Weimar13.
4 "ID 2475 - Goethe, Johann Wolfgang von", in: Forschungsdatenbank so:fie, online hier aufrufbar
5 HAA, S. 236f
6 "ID 43780 - Goethe, Julius August Walter von", in: Forschungsdatenbank so:fie, online hier aufrufbar
7 Goethe, Johann Wolfgang, Stella. Stuttgart: Reclam, S. 56
8 Safranski, Goethe (wie Anm. 3), S. 478.
9 Safranski, Goethe (wie Anm.3), S. 469.
10 Safranski, Goethe (wie Anm.3), S. 525.
11 Safranski, Goethe (wie Anm.3), S. 557.
12 Bernays, Michael, "Goethe, Johann Wolfgang von" in: Allgemeine Deutsche Biographie 9 (1879), S. 413-448 [Online-Version], online hier aufrufbar
13 "ID 2475 - Goethe, Johann Wolfgang von" (wie Anm. 2).
Da Cäcilie hofft, eine Anstellung bei der Baronesse Stella für ihre Tochter Lucie zu finden, reisen die beide in den Ort, in dem diese lebt. Bei einem Gespräch mit der Postmeisterin erfahren sie, dass Stellas Geliebter sie vor ein paar Jahren verlassen hat, genau wie Cäcilies Mann sie verlassen hat.
Nachdem Lucie Stella besucht und Cäcilie auf ihr Zimmer gegangen ist, reist Fernando an, der Stella – seine frühere Liebe – besuchen will. Lucie und Cäcilie lernen Stella kennen, die ihnen von ihrem Schicksal und ihrer verstorbenen Tochter erzählt. Dabei zeigt sie ihnen auch ein Porträt von dem Mann, der sie verlassen hat. Lucie erkennt in ihm Fernando, den sie im Posthaus getroffen hat. Als Stella ihn zu sich rufen lässt und sich alleine auf den Besuch vorbereitet, verrät Cäcilie ihrer Tochter, dass der Mann auf dem Porträt ihr Ehemann und Lucies Vater ist. Während Stella und Fernando sich wiedersehen und sie ihm sein Verschwinden vergibt, bereiten Cäcilie und Lucie eine hastige Abreise vor. Doch weil Stella dies verhindern möchte, bittet sie die beiden zu sich zurück. So kommt es, dass auch Fernando und Cäcilie sich wiedersehen und versöhnen. Er verspricht ihr, mit ihr abzureisen, kann sich aber auch von Stella kaum lösen. Cäcilie versucht, die Situation zu lösen und schlägt Fernando erst eine rein briefliche Beziehung vor und erzählt ihm dann von einem Kreuzritter, der mit zwei Frauen zusammengelebt habe. In der früheren Fassung des Dramas beginnen Stella, Cäcilie und Fernando eine ganz ähnliche Beziehung.
Das Drama endet, bevor der Rezipient Einblicke in das gemeinsame Leben von Stella, Cäcilie und Fernando bekommen kann. Doch dass alle Charaktere mit dieser Lebensgemeinschaft einverstanden sind, zeigt sich deutlich:
Fernando macht beiden Frauen Liebesgeständnisse, Stella gegenüber spricht er von „unendliche[r] Lieb und Güte“ (S. 26), Cäcilie verspricht er, sie nie wieder zu verlassen (S. 35). Dennoch ist er zwischen ihnen hin- und hergerissen, er möchte keine der Frauen verlieren, da er sie beide liebt und weiß, dass er ihnen wehtun würde.
Cäcilie ist diejenige, die Fernando von dem Kreuzritter erzählt und ihm damit einen Ausweg aus seiner Situation darlegt. Sie sagt von sich selbst, dass ihre Liebe zu Fernando nicht die Leidenschaft einer Liebhaberin [ist], die alles dahingäbe, den erflehten Gegenstand zu besitzen“ (S. 48), sie sorgt sich auch um Stellas Gefühle und möchte, dass Stella und Fernando glücklich sein können. Sie ist also die Person, die die ganze polyamouröse Beziehung überhaupt erst initiiert.
Stella ist zunächst überrascht von Cäcilies Vorschlag, stimmt ihm aber sehr schnell zu. So sehr sie Fernando liebt, sie möchte nicht zwischen ihm und seiner Frau stehen und denkt, sie habe deren „Leben […] vergiftet“ (S. 44). Aber sie ist auch einem Leben gemeinsam mit Cäcilie nicht abgeneigt: Kaum haben die beiden sich kennengelernt und über ihre Schicksale ausgetauscht, schlägt sie Cäcilie auch schon vor, ebenfalls zu ihr zu ziehen, damit sie sich gegenseitig die Männer ersetzen können (S. 21). Was Cäcilie darüber denkt, erfährt man nicht, da es Lucie ist, die das Angebot ablehnt, und sofort darauf das Thema gewechselt wird.
„Wir sind dein!“, sagt Cäcilie am Ende des Stückes zu Fernando – genau wie die Ehefrau des Kreuzritters, von dem sie erzählte (S. 51) – und besiegelt so die polyamouröse Beziehung. Es ist ein Ende, das in dieser Hinsicht wenig Deutungsspielraum offenlässt. Eine weit bedeutendere Folge dieses Endes ist, dass es nicht den moralischen Ansprüchen der Zeit gerecht wurde und es Aufführungsverbote gab (S.56). Deshalb verfasste Goethe ein alternatives Ende, in dem Stella sich vergiftet und Fernando sich erschießt. Und aus einem „Schauspiel für Liebende“ (dem Untertitel des Originals) wurde „ein Trauerspiel“.
Nun können wir uns fragen: Ist ein tragisches Ende wirklich besser als ein Happy End, das eine polyamouröse Beziehung illustriert?
„Queer“ ist ein Sammelbegriff und bezieht sich auf Personen, die nicht cisgender und heterosexuell sind, also alle Mitglieder der LGBTQ+ Community sind. Es ist eine Eigenbezeichnung, die eigentlich aus einem englischen Schimpfwort entstanden ist. Die wörtliche Übersetzung ist „seltsam“ oder „eigenartig“ und wurde und wird immer noch in einem abwertenden Kontext benutzt. Dennoch ist der Begriff in der queeren Community heute eher positiv gewertet und wird oft als Eigenbezeichnung genutzt. Nicht alle Menschen, die sich als „queer“ bezeichnen könnten, wollen das auch tun, sie benutzen dann andere oder keine Label.1
In Hesses „Steppenwolf“ gibt es einige Figuren, die eine Außenseiterrolle einnehmen, frei von Zwängen der Gesellschaft, von dieser vielleicht als „seltsam“ abgetan. Doch sind diese Charaktere auch „queer“?
Hermann Hesse wurde am 2. Juli 1877 in Calw geboren. Er wurde von sehr religiösen Eltern erzogen, mit denen er als Jugendlicher auch immer wieder aneinandergerät. Hesse besuchte die Klosterschule Maulbronn, musste diese aber aufgrund von psychischen Problemen verlassen.
Nach Aufenthalt in verschiedenen Anstalten und zwei abgebrochenen Lehren vollendete er schließlich eine Buchhändlerlehre in Tübingen. In dieser Zeit veröffentlichte er auch seinen ersten Gedichtband. Hesse zog in die Schweiz und arbeitete dort als Buchhändler und Schriftsteller. Es folgten weitere Gedichtbände und Romane („Peter Camenzind“, „Unterm Rad“), sodass er schließlich nur vom Schreiben leben konnte. In dieser Zeit heiratete er seine erste Frau Maria Bernoulli, mit der er später auch drei Söhne hatte. Hesse reiste viel, vor allem durch Italien und asiatische Länder, was er auch in seinen Büchern verarbeitete. Im ersten Weltkrieg musste er aus gesundheitlichen Gründen nicht als Soldat kämpfen, aber seine Werte hinterfragen. Zu Beginn des Kriegs befürwortete er das Geschehen noch sehr und verfasste auch Kriegslyrik, als er sich später aber für Frieden und ausländische Literatur ausspricht, wird er angefeindet. Aus verschiedenen Gründen ließ er sich von Maria Bernoulli scheiden und heiratete Ruth Wenger. Auch von ihr trennte er sich bald wieder. 1927 erschien der - wie seine anderen Bücher auch – autobiografisch angelegte „Steppenwolf“1. Vor allem die Hauptfigur Harry Haller und dessen Erlebnisse sind eng an den Autoren geknüpft. Hesse heiratete seine dritte und letzte Ehefrau, Ninon Dolbin. Als in Deutschland die Nationalsozialisten an die Macht kommen, war Hesse bemüht, nur subtile Kritik zu üben, um weiterhin in Deutschland Bücher verkaufen zu können. Viele Schriftsteller kamen ihn auf ihrer Flucht aus Deutschland besuchen. Die Ereignisse in seinem Geburtsland beeinflussten auch seinen letzten Roman „Das Glasperlenspiel“, für den er sogar den Literatur-Nobelpreis bekam. Am 9. August 1962 starb er im Schweizer Dorf Montagnola.2
1 Schwilk, Heimo, Hermann Hesse. Das Leben des Glasperlenspielers, München: Piper, 2012, S. 292.
2 Schwilk, Hermann Hesse (wie Anm. 2)
TW: Suizidgedanken
Der gebildete, suizidale Außenseiter Harry Haller bekommt die Schrift „Das Traktat vom Steppenwolf“ in die Hände und stellt fest, dass er sich mit allen Inhalten identifizieren kann. Das Traktat beschreibt den Typus des „Steppenwolfs“, ein Mensch, der zwei Seiten hat: Eine gebildete und kultivierte und eine wilde, unangepasste, „wölfische“ Seite, die einen innerlichen Konflikt auslösen.
Bald darauf trifft er auf Hermine, eine verständnisvolle, lebensfrohe Frau, die ihn stark an einen früheren Jugendfreund namens Hermann erinnert. Sie verspricht, sich seiner anzunehmen, damit er seinen Lebenswillen wiederfindet, aber er muss im Gegensatz auch etwas für sie tun: Sie töten, wenn die Zeit gekommen ist.
Harry nimmt trotzdem bei Hermine Tanzstunden und sie sorgt dafür, dass er neue Bekanntschaften schließt, beispielsweise mit Maria, durch die er neue körperliche Erfahrungen macht und mit Pablo, einem hedonistischen Saxophonspieler.
Hermine überzeugt ihn, auf einen Maskenball zu gehen, wo er sie nach langem Suchen in einem Männerkostüm trifft. Nun erinnert sie ihn noch mehr an Hermann und er verliebt sich in sie. Gemeinsam finden sie durch Drogen Zugang zum „magischen Theater“, in dem Haller verschiedene fantastische Erlebnisse hat, die darin enden, dass er Hermine (oder ein Bild Hermines) ersticht, als er sie nackt mit Pablo findet. Daraufhin muss er feststellen, dass Hermines vermeintlicher Todeswunsch nur daher kam, dass sie als Spiegel seiner Persönlichkeit fungiert und damit seinen eigenen Todeswunsch ausgesprochen hat.
Noch im magischen Theater wird Harry wegen seiner Tat zum ewigen Leben und ewigen Ausgelachtwerden verurteilt. Seine Chance besteht in einem neuen Besuch im magischen Theater, wo er das Lachen lernen soll.
Mehr als ein Charakter im Steppenwolf zeigt queere Tendenzen.
Maria, die gelegentlich als Prostituierte arbeitet, wird in eine Menschengruppe eingeordnet, die „ungewöhnlich liebesbegabt und liebesbedürftig“ ist und bei der „die meisten auch in der Liebe mit beiden Geschlechtern erfahren“ sind. (S. 178)1. Dass Maria und auch Hermine auch zu letzteren gehören, erfährt Harry Haller später, als er Hermine fragt, „woher sie denn Marias Kußkünste [sic!] und manche geheime, nur dem liebenden Manne bekannte Besonderheiten ihres Lebens kenne“. (S. 188) Hermine sagt ihm ganz offen, dass auch sie intime Momente mit Maria (und anderen Frauen) geteilt hat. Beide sind also wahrscheinlich auf dem bi-/multisexuellen Spektrum zu verordnen.
Zu Hermine lässt sich aber noch mehr sagen. Mehr als einmal wird ihre Ausstrahlung mit „hermaphroditischer Magie“ (S. 142) beschrieben. „Nur ein wenig umfrisiert und leicht geschminkt“ und in Männerkleidung sieht Hermine Harrys Jugendfreund Hermann zum Verwechseln ähnlich. (S. 213) Aber auch unverkleidet hat sie genug Ähnlichkeit mit ihm, dass Harry durch diese Ähnlichkeit sogar ihren Namen erraten kann. Sie macht sogar Witze darüber, nur ein verkleideter Mann zu sein. (S. 139f.) Es scheint Hermine auch zu gefallen, für einen Mann gehalten zu werden, „sie spielte durchaus den Jüngling“ und tanzt mit anderen Frauen statt mit Harry. Aber es ist auch wichtig zu erwähnen, dass Hermine trotz aller Verkleidung immer noch mit ihrer Weiblichkeit spielt. (S. 214) Sie könnte nicht-binär oder genderfluid (nicht-binäre Geschlechtsidentitäten, die sich immer wieder ändert) sein, genauso gut aber auch eine Frau mit etwas maskulineren Gesichtszügen, der es Freude bereitet, sich bei einem Maskenball als Mann zu verkleiden und verhalten. Allerdings sagt Hermine auch, dass sie für Harry eine Art Spiegel darstelle und dass sie dadurch (nur) in seinen Augen wie der frühere Freund Hermann aussähe, weil sie ihn verstehen könne. (140f.) Daraus lässt sich folgern, dass Hermines Auftreten stark mit dem verknüpft ist, was Harry gerade braucht, da er auch der Erzähler ist, und nicht wirklich Einblick auf Hermines echte Gefühle gibt.
Und was ist es, dass Harry braucht oder sucht? Als verkopfter, vereinsamter Außenseiter bringt Hermine ihn zu den simpleren Seiten des Lebens. Und schließlich, als der richtige Zeitpunkt gekommen ist, gelingt es ihr ganz leicht, ihn zu verführen, indem sie ihn „mit allen Reizen ihrer Weiblichkeit“ (S. 214) umfängt und gleichzeitig „in ihrer Männermaske“ (S. 214) eine Rolle spielt. Daraus könnte man durchaus lesen, dass Harry Haller auch homoerotische Neigungen hat, die er aber im Roman nicht auslebt (auch wenn die Gelegenheit bestünde, als Pablo ihm und Maria vorschlägt, „eine Liebesorgie zu dreien zu feiern“, was Harry sofort ablehnt (S, 186)).
1 alle Seitenangaben stammen aus Hesse, Hermann, Der Steppenwolf. 64. Aufl., Berlin: Suhrkamp, 2020,
Im „Steppenwolf“ wird Freiheit weg von gesellschaftlichen und kulturellen Zwängen zelebriert, insbesondere Harry Haller möchte frei sein vom Bürgertum, da er anders ist als die gewöhnlichen Bildungsbürger, mit denen er seine Zeit oft verbringt.
Vor diesem Hintergrund ist es logisch, dass er sich mit Leuten wie Hermine, Maria und Pablo abgibt, die nicht so recht in die gesellschaftlichen Konventionen passen, wenig über Kultur sprechen und frei mit Drogen umgehen. Dass diese drei auch nicht in die (hetero-)sexuelle „Norm“ der damaligen Gesellschaft passen, überrascht da wenig, dafür spricht auch, wie sie sich ihren Lebensunterhalt verdienen. Harry könnte in diese Welt passen, wenn er sich daran gewöhnen würde und sich selbst mehr akzeptieren und seine gesellschaftlich angepasste Seite mit mehr Humor nehmen würde, wie er es im magischen Theater lernen kann. Was er in diesem Fall über sich herausfände, bleibt offen.
Asexualität bedeutet, dass eine Person sich nicht sexuell von anderen Personen angezogen fühlt, dass sie kein Interesse an sexuellen Handlungen mit anderen hat oder auch beides. Es besteht ein ganzes Spektrum der Asexualität, d.h. es gibt beispielsweise auch Personen, die nur bei einer starken emotionalen Bindung zu dieser Person auch sexuelles Interesse haben („Demisexualität“). Asexualität schließt keine romantischen Beziehungen aus.
Arthur Conan Doyle wurde am 22. Mai 1859 in Edinburgh geboren. Er war neben seiner Tätigkeit als Schriftsteller auch Arzt, wies also gewisse Ähnlichkeiten zu seiner fiktiven Figur Dr. John Watson auf. Wie Watson hat auch er militärische Erfahrungen gesammelt, da er 1896 als Arzt am Burenkrieg teilnahm. Nach dem ersten Weltkrieg wand er sich dem Mystizismus und Spiritismus zu, damit er die Trauer um seinen im Krieg gefallenen Sohn besser verarbeiten konnte. Am 7. Juli 1930 starb er in Crowborough.
Neben den Sherlock Holmes Geschichten, die beim Publikum besonders bekannt und beliebt geworden sind, hat Conan Doyle auch noch weitere Bücher veröffentlicht. So kommt es auch, dass er den Detektivstoff mehrfach zum Abschluss kommen lassen wollte (s. „Das letzte Problem“ oder auch „Seine Abschiedsvorstellung“). Dennoch nahm er ihn auf Drängen der Leserschaft immer wieder in weiteren Kurzgeschichten und Romanen auf.1
1 Lebenslauf Arthur Conan Doyles, online hier aufrufbar
John Watson, Arzt und ehemaliger Soldat, der nach seinen Kriegserfahrungen Ruhe sucht, trifft bei der Wohnungssuche auf den exzentrischen, genialen Sherlock Holmes, der sich selbst als beratenden Geheimpolizisten bezeichnet und kuriose, groteske Kriminalfälle löst.
Watsons Interesse an seinem Mitbewohner ist geweckt, deshalb begleitet und unterstützt er ihn bei vielen der Fälle - er selbst sagt, dass er 17 der 23 Jahre, in denen Holmes seinen Beruf ausgeübt hat, miterlebte – und viele davon aufschreibt. So entstehen mehrere Romane und Kurzgeschichten, die vorwiegend aus Watsons Sicht erzählt werden. Holmes‘ Ermittlungen zeichnen sich besonders durch seine Fähigkeit zur Deduktion aus. Außerdem geht er streng logisch vor und zieht möglichst keine voreiligen Schlüsse, was ihn nach eigener Aussage von den gewöhnlichen Polizisten unterscheidet. Zudem hat er eine sehr eigene Rechtsauffassung, die teilweise dazu führt, dass er die eigentlichen Täter beschützt, da er ihre Gründe für gerechtfertigt hält oder sich selbst nicht völlig gesetzeskonform verhält.
Während Watson den Typus eines gebildeten bürgerlichen Mannes im England des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts verkörpert, ist Sherlock Holmes ein etwas eigenwilliger Zeitgenosse, der sich nicht unbedingt an gesellschaftliche Konventionen hält. Im Laufe der Reihe heiratet Watson und zieht dann mit seiner Frau zusammen, während Sherlock Holmes auch alleine in der gemeinsamen Wohnung in der Bakerstreet bleibt, bis er seinen Beruf größtenteils aufgibt und sich in Sussex der Bienenzucht zuwendet.
Da Sherlock Holmes den Gegenentwurf zu Watson, dem bürgerlich Angepassten, darstellt, ist es nicht völlig verwunderlich, dass er während der gesamten Reihe nur sehr wenige tiefgreifende zwischenmenschliche Beziehungen eingeht: Watson, der für ihn ein Freund, Chronist und Helfer ist, schätzt er wohl von all seinen Bekannten am meisten.
Er tritt mit einigen Polizisten in Kontakt, allerdings nimmt er diese nicht besonders ernst, weil er sich ihnen intellektuell überlegen fühlt. Seiner Haushälterin Mrs. Hudson scheint er zumindest genug zu vertrauen, um ihre Hilfe bei manchen Fällen in Anspruch zu nehmen. Diese ist aber auch die einzige Frau in der Buchreihe, zu der er eine langfristige gute Beziehung hat, abgesehen von dankbaren Klientinnen, mit denen ihn nur ein geschäftliches Verhältnis verbindet.
Er ist auch nicht bestrebt, das zu ändern: Als sich Watson im Roman „Das Zeichen der Vier“ verlobt, sagt er Watson, dass er ihm nicht gratulieren könne, da er der Meinung ist, „die Liebe ist ein Ding voll Gefühlsbewegungen, und alles was gefühlvoll ist, steht der ruhigen, gesunden Vernunft entgegen“, die seine Priorität ist. Weiter sagt er, er „selbst würde niemals heiraten, aus Furcht, [sein] klares Urteil zu beeinträchtigen“.1 Denkbar wäre es, dass er auch den wahrscheinlich auf eine Hochzeit folgenden sexuellen Kontakt mit einer Frau vermeiden wollen würde.
Bemerkenswert ist, dass sich Holmes in der Kurzgeschichte „Sherlock Holmes als Einbrecher“ dennoch mit dem Zimmermädchen seines Verdächtigen Charles Augustus Milverton Agathe verlobt. Allerdings tut er das, um sie über das Haus und die Gewohnheiten Milvertons auszufragen. Als Watson erfährt, wer die Verlobte seines Freundes ist, wird ihm sofort klar, dass Holmes sie nur ausnutzt und nicht wirklich heiraten will. Dieser bestätigt ihm die Annahme, als er von seiner zu diesem Zwecke angenommenen, falschen Identität und einem „eifersüchtigen Nebenbuhler […], der sicher [seine] Stellung einnehmen wird, sobald [Holmes] ihr den Rücken“ (S.187) kehren wird, erzählt.
Es wird klar, dass Sherlock Holmes zumindest kein Interesse an einer heterosexuellen Beziehung zu haben scheint. Watson geht sogar so weit, zu behaupten, Sherlock Holmes „verachtete das ganze [weibliche] Geschlecht und misstraute ihm“. (S. 465)
Holmes selbst spricht nicht ganz so extrem. Er beschreibt sich als „kein sonderlich eifriger Anbeter des weiblichen Geschlechts“ (S.562), ist aber nicht immer völlig unempfänglich für die Schönheit von Frauen. Am besten kann man dies in einer der Kurzgeschichten, die aus seiner eigenen Perspektive geschrieben sind, erkennen. In „Die Löwenmähne“ schreibt er: „Frauen vermochten mich nur selten anzuziehen, denn mein Gehirn behält stets die Oberhand über mein Herz; doch ihr […] Antlitz […] konnte ich nicht betrachten, ohne mir vorzustellen, dass wohl kein junger Mann ihren Pfad unversehrt würde kreuzen können.“ (S. 774) Ihm ist also durchaus bewusst, wenn eine Frau auf andere Männer attraktiv wirkt. Doch ob das je auf ihn selbst eine Wirkung hat, bleibt trotzdem unklar.
In der Zeit der Jahrhundertwende, in der die Romane und Kurzgeschichten geschrieben sind und spielen, war die gleichgeschlechtliche Ehe noch lange nicht möglich. Deswegen ist Holmes‘ Aussage zur Heirat nicht völlig aussagekräftig hinsichtlich seiner Beziehungen zu anderen Männern. Dennoch kann man seine Abneigung von Hochzeiten auch als Abneigung für - ihn von seiner Arbeit ablenkende - Beziehungen im Allgemeinen sehen, was auch Beziehungen mit Männern einschließen würde.
Der einzige kanonisch erwähnte Mann, der ihm während der Zeit, in der die Kurzgeschichten und Romane spielen, auch nur ansatzweise nahe genug für eine romantische Beziehung stünde, ist John Watson, was auch daher kommt, dass Holmes diesem den meisten Respekt entgegenbringt. So bemerkt Watson an Holmes‘ Reaktion darauf, dass sein Freund verletzt wird, „die tiefe Treue und Zuneigung […], die hinter dieser kalten Maske“ liegt und „dass es auch ein großes Herz gab und nicht nur ein großes Hirn. (S. 684)
Aber auch hier ist es sinnvoll, Holmes eigene Perspektive zu betrachten: In „Der erbleichte Soldat“ erklärt er: „Wenn ich mich schon bei meinen vielfältigen Untersuchungen mit einem Begleiter belastet habe, so nicht etwa aus Gefühlsduselei oder einer Kaprice heraus, sondern weil Watson einige bemerkenswerte Eigenschaften besitzt […]“ (S. 741) (Im englischen Original heißt es statt „Gefühlsduselei“ „out of sentiment“, was man auch mit „Sentimentalität“ oder nur mit „Gefühl“ übersetzen kann). Watson ist für ihn also ein qualifizierter Helfer, der ihm dennoch etwas bedeutet und mit dem er gerne Zeit verbringt. Aber es scheint nicht so, als würde ihn mit Watson romantische Gefühle oder sexuelles Interesse verbinden. Gerade bei letzterem ist es allerdings sehr schwer zu beurteilen. Sherlock Holmes äußert sich nicht auffällig über das Äußere anderer Männer. Doch Watsons Zuverlässigkeit als Erzähler ist das betreffend nicht garantiert, da sich Holmes sowohl dazu äußert, dass Watson wichtige Tatsachen entgehen als auch, dass er die „Oberflächlichkeit seiner [Watsons] Darstellungen“ (S.741) kritisiert.
1 Conan Doyle, Arthur, Sherlock Holmes. Sämtliche Werke in drei Bänden. Die Romane, übers. von Margarete Jacobi, Zürich: Anaconda, 2005, S. 280.
„Ich habe nie geliebt, Watson“ 1, sagt Sherlock Holmes, als er versucht, die Motive des Täters in der Kurzgeschichte „Der Teufelsfuß“ nachzuvollziehen. Das spielt sich 1897 ab. 1914, in „Seine Abschiedsvorstellung“ – chronologisch gesehen die letzte Kurzgeschichte – wird Holmes als „um die sechzig“ 2 beschrieben und hat, bevor er diesen Fall löste, „auf einer kleinen Farm […] ein Einsiedlerleben“ 3 geführt.
Seine Aussagen, persönlichen Beziehungen und seine Lebensweise, die in der gesamten Zeit, die Watsons Berichte abdecken, durch kein romantisches Verhältnis geprägt ist, legen nahe, dass er aromantisch ist. Sein fehlendes Interesse an Beziehungen wird häufiger mit seiner hohen Intellektualität in Verbindung gebracht. Ob er sich allerdings bewusst gegen Empfindungen entscheiden kann, ist fragwürdig, realistischer erscheint es, dass ihm seine Aromantik einfach für die Ausübung seines Berufes sehr zugute kommt.
Außerdem gibt es, wie oben dargestellt, deutliche Anhaltspunkte dafür, dass sich Sherlock Holmes auf dem Spektrum der Asexualität befindet, dies ist aber weniger deutlich zu sagen.
Durch die große Bekanntheit und die Faszination, die der Sherlock-Holmes-Stoff ausübt, kann Sherlock Holmes auch als Vorbild dienen, zu sich selbst zu stehen.
1 Conan Doyle, Sherlock Holmes (wie Anm. 3), übers. von Leslie Giger, S. 543.
2 Conan Doyle, Sherlock Holmes (wie Anm. 3), übers. von Leslie Giger, S. 552.
3 Conan Doyle, Sherlock Holmes (wie Anm. 3), übers. von Leslie Giger, S. 559.