Digitalisierung der Bibliotheca Erotica

Die Erotica-Sammlung der Herzogin Anna Amalia Bibliothek beinhaltet verschiedenste Gattungen erotischer Literatur. Ein Großteil der erotischen Werke stammt aus der Zeit der Aufklärung, jedoch findet sich auch Literatur aus anderen Epochen, wie beispielsweise Antike, Renaissance und Barock.  

Einen Grundstock bildet die etwa 230 Werke umfassende private Erotica-Sammlung des Herzogs Carl August. Im Jahr 1805 wurde diese Sammlung dem kleinen, bereits vorhandenen Bibliotheksbestand an Erotica (53 Titel) durch Geheimrat Christian Gottlob Voigt hinzugefügt. Im selben Jahr katalogisierte der Bibliothekssekretär Christian August Vulpius den nun 285 Werke umfassenden Bestand unter dem Namen „B[ibliotheca] E[rotica]“ mit der sprechenden Signatur »Er«.

Das älteste Werk der Sammlung stammt aus dem Jahr 1593, der jüngste Titel aus dem Jahr 1911. Die Mehrzahl der Texte ist in französischer Sprache verfasst (314 Bände). 48 Bände sind deutschsprachig, einige wenige sind auf Englisch, Italienisch und Latein verfasst.

Eine detaillierte Beschreibung der Sammlung finden Sie hier.

Finanzierung

Das Projekt wird von der Thüringer Staatskanzlei im Rahmen der „Richtlinie zur Förderung von Kunst und Kultur“ finanziert.

Die Sammlung

Die Sammlung wurde nach 1805 nur geringfügig ausgebaut. Ein Abgleich des Bestandes von 2015 mit dem historischen Bestandskatalog von Vulpius aus dem Jahr 1805 wies eine hohe Zahl an Verlusten auf. Etwa ein Drittel der durch Herzog Carl August eingebrachten Erotica sind im 19. und 20. Jahrhundert abhandengekommen. Die Ursachen dieser Abgänge lassen sich nicht mehr genau rekonstruieren. Es kann aber angenommen werden, dass heute rund 1/3 der ursprünglichen Sammlung als Verlust gilt.  

Die Signaturgruppe »Er« gilt als geschlossen, der Bestand an Erotica wird jedoch um einzelne Exemplare retrospektiv ergänzt. Neuanschaffungen werden hierbei mit einer Numerus Currens Signatur versehen. Heute befinden sich insgesamt 393 Bände in der Signaturgruppe »Er«. Die Sammlung ist im Bücherturm des historischen Bibliotheksgebäudes aufgestellt.

Die Sammlung spiegelt in teils unerwarteter und auch recht drastischer Weise die Doppelmoral in den deutschen Landen des 18. Jahrhunderts wieder. Die Forschung ging lange Zeit davon aus, dass Titel mit erotischem oder gar offensichtlich pornographischem Inhalt vornehmlich im Ausland, und dort vor allem in Frankreich, verfasst wurden. Diese Annahme gilt seit einigen Jahren als widerlegt, oder ist zumindest nur noch eingeschränkt gültig. In der Weimarer Sammlung befinden sich zum Beispiel Titel, die unter Pseudonym verfasst worden sind, oder bei denen absichtlich Verlag und Erscheinungsort falsch angegeben wurden, um die wahre Urheberschaft zu verschleiern. Gleichzeitig zeigt aber die Weimarer Sammlung, welche Titel sich einer besonderen Beliebtheit erfreuten. So ist bekannt, dass sich sowohl Carl August Böttiger als auch Johann Wolfgang Goethe die „Justine“ - verfasst von keinem Geringeren als dem Marquis de Sade - ausgeliehen haben. Dank der digital vorliegenden Ausleihjournale lässt sich nachweisen, dass Böttiger den Band am 17.08.1798 zurückgab. Goethe entlieh ihn vom 22.08. bis zum 22.09.1798.  

Mein Noviziat. In: Priapische Romane (3,2.1865). Signatur 289347 - A (3). Fingierter Ort / Verlag: „Boston / Bei Reginald Chesterfield“, nachzulesen in „Bibliotheca Germanorum erotica & curiosa“.
Bibliotheca Germanorum erotica & curiosa, Band 6, Zugleich 3., ungemein vermehrte Auflage von Hugo Hayns „Bibliotheca Germanorum erotica“. Signatur GB 1664 H423-6.
Eintrag zu „Priapische Romane 3.2: Mein Noviziat“ in „Bibliotheca Germanorum erotica & curiosa“, Band 6, S. 522. Angabe zu korrektem Ort und Verlag: Altona / Verlags-Bureau.

Projektziele

Es werden ca. 400 Titel aus der Sammlung „Erotica“ der Herzogin Anna Amalia Bibliothek digitalisiert, katalogisiert und präsentiert. Ergänzend werden ausgewählte Bestände aus dem Goethe- und Schiller-Archiv mittels Multispektraldigitalisierung untersucht, mit dem Ziel der Sichtbarmachung zensierter (d.h. abgekratzter, ausradierter oder durchgestrichener) Textstellen.

Verbesserung der Zugänglichkeit

Die Digitalisierung macht wichtige Quellen zur historischen Geschlechterordnung der Zeit um 1800 und zur Geschichte der erotischen Literatur im Kontext der Radikalaufklärung zugänglich. Die Sammlung ist anschlussfähig für Fragestellungen der Gender Studies, der Sexualethik, Moralgeschichte und Moralkritik sowie zur Geschichte der Hofkultur und der Subkultur/Dissidenz.

Auch die Sammlungsforschung im Allgemeinen profitiert von digital zugänglichen Quellen.

Die Digitalisierung dient auch der Bestandserhaltung und damit der Bewahrung des kulturellen Erbes. Das im 19. Jahrhundert verwendete Papier ist oft säurehaltig und mittlerweile brüchig. Dadurch ist die Bereitstellung der Originale für die Nutzer und Nutzerinnen der Bibliothek bereits jetzt nicht mehr uneingeschränkt möglich, was die Benutzung stark erschwert.

Une Année De La Vie Du Chevalier De Faublas, Signatur Er 6 : 74 (a), entliehen von Goethe vom 07. Februar 1801 bis zum 28. Februar 1801
Ausgekratzte Texte in Handschrift H55 zu den Venezianischen Epigrammen, Goethe- und Schiller-Archiv, 25/W 62, S. 50

Sichtbarmachung mittels Multispektraldigitalisierung

Im Bestand des Goethe- und Schiller-Archivs befindliche Handschriften wurden im 19. Jahrhundert vor Auflage der Sophienausgabe teilweise „zensiert“, um „moralisch anstößige Passagen“ zu tilgen. Dies geschah durch Abschaben des Papieres, durch Überzeichen oder Ausradieren, in drastischen Fällen auch durch das Herausschneiden einzelner Abschnitte. Zumindest in den ersten drei Fällen besteht die begründete Hoffnung, durch den Einsatz multispektraler Bildgebungsverfahren den ursprünglichen Text wieder lesbar machen zu können. 

Präsentation

Die digitalisierten Bestände werden in den Digitalen Sammlungen der HAAB präsentiert, eine digitale Ausstellung zeigt zudem ausgewählte Bände. Die Verwendung von Normdatensätzen garantiert dabei die Anschlussfähigkeit für weitere digitale Objekte bzw. Einrichtungen.

Die Multispektralaufnahmen werden der Forschung auf einer Plattform der Klassik Stiftung Weimar bereitgestellt.

Erkenntnisse aus der Multispektraldigitalisierung werden im Rahmen des Begleit- und Vermittlungskonzepts der Ausstellung "Sophie. Macht. Literatur" zum 200. Geburtstag der Großherzogin 2024 der Öffentlichkeit präsentiert.

Ausgewählte Titel in den Digitalen Sammlungen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek

  • Passioné, Joly: Almanach Perpetuel D'Amour, Selon les observations Astronomiques de Cupidon. 1681.
    Signatur: Er 4 : 31
    Link in die Digitalen Sammlungen
  • Detharding, Georg & Heintze, Johann Christoph: Disputatio Inauguralis Medica, De Erotomania, Von der Kranckheit da man verliebt ist. 1719.
    Signatur: Er 2 : 4
    Link in die Digitalen Sammlungen
  • Kiesewetter, Gottfried: Schwedische Liebesgeschichte, oder die Begebenheiten des Bretagne, eines Französischen von Adel, in Schweden. 1745.
    Signatur: Er 6 : 114 [b]
    Link in die Digitalen Sammlungen
  • Hill, John: Concubitus sine Lucina, Ou Le Plaisir Sans Peine. 1750.
    Signatur: Er 3 : 22
    Link in die Digitalen Sammlungen

 

Alle Titel der Erotica-Sammlung in chronologischer Ordnung sind im Online-Katalog der Herzogin Anna Amalia Bibliothek einsehbar.

Alle Digitalisate sind in den Digitalen Sammlungen der Herzogin Anna Amalia Bibliothek auf einer eigenen Projektseite abrufbar.

Weiterführende Literatur zur Sammlung

  • Bibliotheca Erotica. [Katalogisiert von Christian August Vulpius]. Weimar: Herzogliche Bibliothek 1805 (Digitalisat)
  • Yong-Mi Rauch und Dirk Sangmeister: Die Bibliotheca Erotica des Weimarer Herzogs Carl August. Verzeichnis eines lange unbeachteten und nun bedenklich dezimierten Bestandes. Enthalten in: Deutsche Pornographie in der Aufklärung. Internationale Tagung "Deutsche Pornographie in der Aufklärung" 2015 Gotha. Göttingen: Wallstein Verlag, [2018], S. S. 720-752 (Katalog)
  • W. Daniel Wilson: Goethes Erotica und die Weimarer "Zensoren". 2. korrigierte Auflage. Hannover: Wehrhahn Verlag, 2018. (Katalog)

Kontakt

  • Anja Jungbluth
    Abteilungsleiterin Digitale Bibliothek

    T +49 3643 545 218
    E-Mail
  • Andreas Schlüter
    Referatsleiter Digitale Entwicklung / Systembibliothekar

    T +49 3643 545 233
    E-Mail

Vorhaben der Klassik Stiftung Weimar werden gefördert durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und den Freistaat Thüringen, vertreten durch die Staatskanzlei Thüringen, Abteilung Kultur und Kunst.